Verlorene Stunden


DSC00188EisskDie Wohnungstür verwandelt sich an manchen Tagen zum Tor in eine andere Welt. Die Betriebsamkeit des Alltags draußen verschwindet und die Anspannung, die wach hält, fällt ab. Von einer Sekunde zur anderen verändert sich mein Innerstes und meine eben noch gefühlte Lebensenergie bleibt draußen. Meine Jacke segelt im Weitwurf auf den Stuhl statt an den Kleiderhaken. Kurze Zeit später finde ich mich auf dem Sofa wieder, sitzend, die Hände in der Schoß legend. Meine Haltung könnte man als halbwegs aufrecht bezeichnen, die Füße und Beine liegen parallel zueinander. Der Blick geht geradeaus, unbeweglich. Regungslos verharrend denke ich daran aufzustehen, sofort aufzustehen. Aufstehen, ganz einfach, das Fenster öffnen, sofort in die Küche gehen, einen Kaffee kochen, die Musik anstellen, alles dies sind leicht umsetzbare Kleinigkeiten, nichts könnte einfacher sein. Müdigkeit überfällt mich, Erschöpfung, die ich nicht wahrhaben möchte. Nur ein kleiner Schritt, ein winzig kleiner fehlt, um diese starre Haltung aufzugeben. „Einfach aufstehen“, schießt es durch meinen Kopf.

Ich stehe nicht auf, ich bleibe einfach sitzen und die Gedanken driften ab, irgendwohin.

Die Sinnlosigkeit dieses Nicht-Handelns offenbart sich. Vernünftig wäre es, etwas zu tun oder sich wenigstes richtig auszuruhen oder zu entspannen, aber keines von beiden passiert, nein, nichts passiert. Auf dem Sofa sitzt ein Individuum, in ein Vakuum gefallen, reglos, wie eine Eidechse in der Kältestarre. Die Zeit scheint es noch nicht einmal nötig zu haben, an mir vorbeizuziehen. Selbst die Zeit ist abwesend.

„Aufstehen“, flüstert die innere Stimme ins Ohr. Die Hände liegen sinnlos im Schoß, die Ohren nehmen kein Geräusch wahr. Noch nicht einmal die einzige Person im Raum ist anwesend.

Etwa zwei Stunden später stehe ich auf, öffne das Fenster, koche Kaffee und lebe mein Leben weiter, als wäre nichts gewesen.

Genaugenommen war da auch nichts, buchstäblich nichts.

– Nichts –

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5 Antworten zu Verlorene Stunden

  1. tanrak schreibt:

    Welch ein Blog !!! super hier !!!

  2. tanrak schreibt:

    Dieser Artikel von dir hat es in sich !
    „Die Zeit scheint es noch nicht einmal nötig zu haben, an mir vorbeizuziehen. Selbst die Zeit ist abwesend.“ Welch ein Satz !!! Super !

  3. fridakopp schreibt:

    Ist es wirklich sinnlos, mal ins Nichts abzutauchen?
    Für mich liegt darin sehr viel Sinn.

    • Graue Wölfin schreibt:

      Wenn es der Entspannung dient oder der Selbstfindung schon. Vor allem dann, wenn man beschließt, ins Nichts abzutauchen. Das ist hiermit aber nicht gemeint. Wenn du nicht weißt, was ich meine, sei froh, du hast „nichts“ verpasst 😉

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